Hier ist Hape Kerkeling oder ist’s Gerd Kommer? Angela Merkel? Verwirrung? Total normal an der Börse

So was von rational, überlegt und sachlich und zugleich kaum besserwisserisch laut – ein wenig hat Investment-Guru Gerd Kommer (“Souverän investieren..” – wie mein Buch ebenfalls bei Campus erschienen) von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wie diese neigt er zugleich ganz selten (einmalig?) zu ungewohnt heftigen Worten mit sexueller Konnotation. Was bei der Bundeskanzlerin die “Öffnungsdiskussions-Orgien” ist bei Kommer die “Investmentpornographie“. Total Normal.

In seinem aktuellen Newsletter hat Kommer wieder zugeschlagen. Diesmal ohne den Sex, aber erneut drastisch. Er schreibt von “eine{r] verbreitete[n] Form von Anlegerirrationalität, die an eine moderate Form von Schizophrenie erinnert” und einem Anleger, der sich “[i]rrational, inkonsistent und zugleich völlig normal [verhält], weil die Mehrheit aller Privatanleger wohl so vorgeht”.

Es ist also total normal. Womit wir – kleiner Exkurs  – bei Hape Kerkeling wären.

Und hier wird es interessant. Denn Kommer beschreibt da als “total normal” einen Anleger, der sich aus Angst vor (relativen) Verlusten Gewinne entgehen lässt. Oliver heißt er bei Kommer und wie Juliane, von der er vorher schreibt, hat er Angst vor der eigenen Courage und sträubt sich jetzt, genau jetzt, endlich einen Batzen Geld anzulegen. Denn beide fürchten, womöglich den falschen Zeitpunkt zu erwischen. Denn ist der Aktienmarkt nicht grade besonders unsicher, weil schon lange stark gestiegen/grade stark gefallen/in einer Seitwärtsbewegung oder weswegen auch immer?

Natürlich wäre es ein Traum gewesen, Ende Oktober diesen Jahres viel Geld zu investieren und binnen Monaten bis Juli diesen Jahres die Rendite einzufahren, für die andere Anleger Jahre gebraucht haben. Wann es diesen Zeitpunkt gab, weiß man aber immer erst hinterher. Die Statistik und die Rationalität – und für beides ist Gerd Kommer der beste Lieferant – besagen, dass es eben weil Börsenkurse in ihrem kurzfristigeren Verlauf nicht vorhergesagt werden können, immer nur einen guten Zeitpunkt gibt zu investieren: jetzt.

Angst vor der eigenen Courage zu haben, ist menschlich. Also bloß keine Selbstvorwürfe. Lieber Selbstreflektion und dann doch handeln. Wir sind alle ein wenig Oliver, können uns aber ändern.

Damit nochmal MUSIK.

Das können Kleinanleger vom Wirecard-Debakel lernen

Wirecard tief rot.

Wirecard tief rot.

Aktien? bloß nicht! – das ist wohl bei vielen die Reaktion auf den aktuellen Skandal bei Wirecard und dem damit verbundenen Kurssturz. So einen drastischen Verfall in so kurzer Zeit – das dürfte bei einem Dax-Wert wohl einmalig sein. Am 18. Juni hat sich der Kurs der Wirecard-Aktie mehr als halbiert und fiel seither tüchtig weiter. Seit der Aufnahme in den DAX im Herbst 2018 ging es mit dem Papier des Zahlungsdienstleisters zwar nicht stetig bergab, aber doch auch schon vor dem Juni-Crash eindeutig nach unten. Bereits in dem eindreiviertel Jahr zuvor hatte sich der Kurs schon einmal ungefähr halbiert.

Was da passiert ist, ist ein Lehrstück. Von den 100 Dingen, die das Wirecard-Debakel uns alle lehren kann, hier 5 besonders wichtige:

1. Shit happens – nicht nur bei Wirecard

Dieser englische Ausdruck mag angesichts der Betrugsvorwürfe arg lapidar klingen, unterstreicht hier aber aus Sicht des (Klein-)anlegers, dass etwas passiert, was er nicht in der Hand hat und das dann auch noch unvohersehbare negative Folgen hat. Schauen wir fast 5 Jahre zurück: Wer hätte damals vorhersagen können, dass dem größten deutschen Autobauer Volkswagen im Herbst 2015 Betrug vorgeworfen wird und dieser plötzlich enorme Schadensersatzforderungen und Strafzahlungen riskiert? Von einem Tag auf den anderen wurden die Gewinnerwartungen massiv nach unten korrigiert, zeitweilig wurde schon spekuliert, ob VW überhaupt überlebt. Der damalige Absturz der VW-Aktie war heftig, aber weit entfernt von dem von Wirecard, dessen Wert seit Dax-Aufnahme über 90 Prozent gefallen ist.

Wer mit VW oder Wirecard herbe Verluste erlitten hat, sollte sich sagen “shit happens”, sprich “jetzt kann ich es auch nicht mehr ändern”. Wichtig: Nun ganz schnell hinzufügen: “aber daraus lernen kann ich!”

2. Systematisch gegen unsytematische Risiken vorgehen

Lernen und zwar aufbauend  auf dieser Erkenntnis und hier zitiere ich in leicht abgeänderter Form aus meinem Buch “So werden Sie reich wie Norwegen” (S. 86): Ein unvorhersehbares Risiko für ein einzelnes Unternehmen wie die Betrugsvorwürfe gegen VW oder Wirecard wird in der Fachspracheunsystematisches
Risiko oder Einzelwertrisiko genannt. Überraschende Ereignisse, die auf alle Aktien ähnliche Auswirkungen haben, werden als systematische Risiken oder Gesamtmarktrisiken bezeichnet. Dazu zählen zum Beispiel die Anschläge vom 11. September 2001,  die Finanzkrise 2008 oder die weltweite Verbreitung des neuartigen Corona-Viruses 2020. Diversifikation kann die Folgen von unsystematischen Risiken mindern, systematisches Risiko hingegen gilt es zu akzeptieren.” Wer wie der norwegische Ölfonds sehr breit gestreut anlegt, hat Wirecard nur ganz geringfügig im Depot liegen – nämlich als einen von vielen tausenden internationalen Werten – und leidet damit kaum unter dem Verlust, der anderen Kleinanlegern nun den Urlaub, die private Altersvorsorge oder mehr verhagelt.

Entwicklung von Dax und S-Dax 2000 bis 2020.

Entwicklung von Dax und S-Dax 2000 bis 2020.

Zur Illustration hier beispielhaft der Dax von 3. Januar 2000 bis 27. Juni 2020 – der verlief also seit Wirecard Mitglied war (September 2018) ganz anders als die Papiere des strauchelnden Zahlungsdiensteanbieters sowie des SDax, der für noch mehr Diversifikation steht. Der MSCW ACWI diversifiziert entsprechend noch mehr, hier aber auch um zu zeigen, dass der Absturz eines Unternehmens von 30 auf den jeweiligen Index nicht zwingend große Auswirkungen hat, der Blick auf Deutschland (ein internationaler Chart in diesem Beitrag vom Mai 2020).

3. Zeitliche Perspektiven nicht außer acht lassen

Wer gleich zu Anfang – also vor gut 15 Jahren (zur Historie hier) – Wirecard-Aktien gekauft hat, war mit seiner Investition auch nach dem Absturz um über 90% immer noch deutlich im Plus! Noch am Donnerstag, 25.6.2020 kostete eine Aktie von Wirecard noch immer rund doppelt so viel wie damals und wer sich am ersten oder zweiten Tag des Absturzes von seinen Papieren, die er 2005 gekauft hatte, verabschiedete, machte noch einen satten Gewinn (der am 26.6. aber wieder futsch war). Das dürfte sehr wenige Kleinanleger betreffen, dennoch verzerrt ein Blick auf die ganz kurze Frist das Risiko. Ebenso wie dieser Blick schnell einen Kurssprung nach tollem Gewinn aussehen lässt, nur weil der vorherige Preisverfall ausgeblendet wird. Wer langfristig denkt und diversifiziert, lässt sich von diesen beiden Verzerrungen nicht täuschen – und dessen Ertrag wird auch davon kaum beeinflusst.

Wirecard fast tiefrot.

Wirecard fast tiefrot.

Dennoch ein kurzer Einwurf: Wer Wirecard wie oben beschrieben nur als eines von tausenden internationalen Unternehmen in seinem diversifzierten Depot hält, könnte sogar  bei Wirecard immer noch im Plus sein – dann nämlich, wenn dessen rasanter mehrere Jahre währender Aufstieg auf das Depot einen größeren Einfluss hatte als der jähe Abstieg (das nur als Einwurf, ob dem so ist, hängt von der Zusammensetzung der Indizes seit 2005 – als Wirecard notiert wurde – ab und ist eine aufwändigere Recherche, die Zeit und vor allem Daten braucht, könnte aber für einen beispielhaften Investor errechnet werden). Doch selbst wenn dem so ist, wäre dieses Plus bezogen auf das Gesamtdepot auch nur winzig – eben wegen der Diversifizierung.

4. Ein hoch auf die vierte Gewalt

Die deutsche Finanzaufsicht Bafin scheint bei der Überwachung von Wirecard kläglich versagt zu haben. Nicht nur das. Die britische Wirtschaftszeitung Financial Times hatte den Job der Bafin grob gesagt besser gemacht – und wurde dafür nicht nur angegriffen, sondern sogar angezeigt. Journalisten der FT nämlich hatten schon seit einiger Zeit Zweifel an den Zahlen des deutschen Zahlungsdienstleisters geäußert. Doch statt diese Vorwürfen von immerhin einer der renommiertesten Finanzmedien ernst zu nehmen,  reagierte die Bafin mit einer Anzeige.  Vertrauen in Institutionen wie die Finanzaufsicht ist gut, Kontrolle durch die Medien, die nicht umsonst vierte Gewalt heißen, besser. Kein Wunder, dass Claudius Seidl, die FT-Journalisten in seiner Sonntagskolumne für deren Dienst an der Pressefreiheit lobt. Denn sie haben weitergemacht, trotz Anzeige.

5. Dabeibleiben ist fast alles

Statt “Aktien? Bloß nicht!” sollte es heißen “Aktie? Bloß nicht, Aktien ja!”. Also, möglichst viele verschiedene Wertpapiere halten und trotz zwischenzeitlichen Rückschlägen dranbleiben, dann – siehe Dax- und S-Dax-Chart oben als Beispiel – zahlt es sich aus.

Wie stark boomt Nachhaltigkeit wirklich?

Kurs Nachhaltigkeit? Svalbard (Foto: Bomsdorf)

Kurs Nachhaltigkeit? Schiff vor Svalbard (Foto: Bomsdorf)

Mit gutem Gewissen Geld anlegen wollen glücklicherweise nicht mehr nur ein paar Kleinanleger. Doch es gibt auch Probleme bei der Nachhaltigkeit (hier andere Texte von mir zum Thema). Heute hier ein kurzer Blick auf eins, von dem viel gelernt werden kann.

Nicht immer sind Produkte so grün wie sie zu sein vorgeben. Das ist schade und oft Thema – wie heute in der FAS (S. 26). In dem Text steht gleich zu Anfang ein Satz mit auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen. Hier erläutere ich ganz kurz, warum man sich von denen nicht blenden lassen sollte und was das für Geldanlage (und viel mehr) lehren kann.

„2019 waren in Deutschland laut dem Forum Nachhaltige Geldanlagen schon rund 270 Milliarden Euro nachhaltig angelegt, 23 Prozent mehr als im Vorjahr“, heißt es da. Der FAS vertrau ich, die Zahlen dürften stimmen. 270 Milliarden Euro und ein Plus von 23 % klingen beeindruckend. Vielleicht sogar beeindruckender als sie sind. Warum sei hier an der zweiten Zahl erläutert.

Rendite nicht vergessen!

Wovon hängt denn die Entwicklung eines Anlagevolumens ab? Nehmen wir mal das eigene Depot – da gibt es Zu- und Abflüsse. Die beruhen meist auf bewussten Kauf- und Verkaufsentscheidungen. Der zitierte Satz lässt viele Leser sicher daran denken, dass sich halt so viele neu für nachhaltige Geldanlage entschieden oder zusätzliches Geld in diese investiert haben, dass das Volumen um 23 % gestiegen ist.

Wer kein ganz kleines Depot mehr hat, für den dürfte häufig dessen Wertentwicklung zumindest in überdurchschnittlich starken Jahren eine größere Rolle als die Zuflüsse spielen. 2019 war ein besonderes gutes Jahr an den internationalen Aktienmärkten – Dividenden reinvestiert legte der MSCI World um 30 % zu (eine schöne Übersieht bieten die Kollegen von Dividendenadel hier).

Der nachhaltige MSCI World SRI liegt sehr nah am MSCI World – schneidet mal ein bisschen besser, mal ein bisschen schlechter ab. Um auch Schwellenländer miteinzubeziehen, sollte der MSCI ACWI angeschaut werden – den gibt es allerdings leider nicht als Renditedreieck bei Dividendenadel, dafür natürlich hier bei MSCI. In seiner nachhaltigen Variante legte der auch ohne reinvestierte Dividenden 2019 um satte 29 % zu.

23 % Plus sind toll – oder auch nicht

Und schon sind die 23 % Plus bei Nachhaltigkeit nicht mehr so beeindruckend. Denn an allzu großen Zuflüssen, also bewussten Entscheidungen zusätzliches Geld nachhaltig zu investieren, dürfte das Plus nicht liegen. Je nachdem, wo genau das Geld investiert war, könnte sogar einiges abgeflossen sein. Schließlich sind 23 % weniger als 30 %.

Was es zu lernen gibt? Zahlen sind oft erst aussagekräftig, wenn es gute Vergleichsgrößen gibt. Das gilt hier genauso wie bei Geldanlage generell – was gut aussieht, ist nicht mehr so gut, wenn es im Vergleich unterdurchschnittlich gut ist. Ähnliches gilt auch anderswo, z.B. bei der Gehaltsentwicklung. Ein Plus von 27% über 12 Jahre sieht im Vergleich mit der Inflation nicht mehr ganz so gut aus (darum oft netto-Zahlen verwenden).

Zu den 270 Milliarden Euro Nachhaltigkeit aus dem obigen Zitat nur ein Gedankenspiel, keine Berechnung: Welchen Anteil hat nachhaltige Geldanlage wohl am derzeitigen gesamten investierten Volumen? Und wie hat sich der Anteil 2019 entwickelt? Eine Idee gibt es ganz schnell: einfach Volumen erstmal in Relation zur ungefähren Einwohnerzahl Deutschlands setzen.

Noch ein Hinweis: Nachhaltige Indizes entwickeln sich üblicherweise historisch nicht deutlich schlechter als die Indizes, auf denen sie aufbauen (oben also MSCI World SRI im Vergleich zu MSCI World). Das bleibt in dem FAS-Text leider unerwähnt, weshalb mancher Leser denken könnte, wenn nachhaltig, dann aktiv gemanaget. Schließlich weist die FAS darauf hin, dass es Probleme bei der Auswahl gibt, die starke nachhaltige Unternehmen ignorieren könnten. Dementsprechend werden auch nur Fondsmanager bei Banken und dergleichen zitiert und ETFs spielen keine Rolle.